Regenguss: Das größte Orchester der Welt mischt sich unters Publikum
10. Internationales Musikantentreffen in Grimma: Bei der Show im Stadion erweisen sich die Akteure als Improvisationskünstler / Tausende Fans an den drei Tage auf den Beinen
Grimma. Nach der Musikparade hatten 15 Formationen aus fünf Ländern akkurat Aufstellung genommen auf dem sattgrünen Rasen im Stadion der Freundschaft. Hunderte Besucher drängelten sich auf der Tribüne, um den Höhepunkt des 10. Internationalen Musikantentreffens in Grimma nicht zu verpassen.
Eine einsatzbereite Drohne schwebte über den Köpfen, um die Große Musikshow aus der Luft festzuhalten. Doch der Blick ging an diesem Sonnabendnachmittag auch immer wieder zum Himmel, wo dunkle Wolken aufzogen.
Petrus öffnet über Grimmas Stadion die Schleusen
Also drängelte Stadtmusikdirektor Reiner Rahmlow zur Eile. Fast 20 Minuten eher, als im Programmheft angekündigt, erklomm der 63-Jährige das Stufenpodest. Dann hob er vor dem „größten Orchester der Welt“ den Taktstock zum ersten Lied, das die Blasmusikanten aus Deutschland, Brasilien, Ungarn, Frankreich und Serbien gemeinsam anstimmten: den Coburger Marsch. Auch der Torgauer Marsch und zwei Lieder der Schalmeienkapellen unter der Stabführung von Klaus Schneider konnten noch auf dem Rasen gespielt werden. Dann öffnete Petrus die Schleusen.
Die Musikerinnen und Musiker schützten ihre Instrumente, so gut es ging, warfen sich – wie die Bläserphilharmonisten aus Thum – ein Regencape über, flüchteten auf die überdachte Tribüne und mischten sich unters Publikum. Was nun? Auch Rahmlow schien erst ratlos.
Doch wie mit einem unsichtbaren Band verbunden, erwiesen sich die Tonkünstler auch als Künstler der Improvisation. Sie rückten die durchweichten Notenblätter zurecht und formierten sich zwischen den Besuchern erneut zum einzigartigen Klangkörper.
Rahmlow machte aus der Not eine Tugend. Beschirmt von Stadtrat Wolfgang Mohr, drehte er sich auf dem Podest kurzerhand um und dirigierte im strömenden Regen die rund 500 Musikanten, die beim abschließenden Steigermarsch für einen Gänsehautmoment sorgten.
Das sei vollkommenen spontan gewesen, strahlte Rahmlow nach dem verrückten Auftritt über beide Wangen. „Es war wunderbar.“ Und er machte den musikalischen Gästen der Stadt ein riesengroßes Kompliment: „Wenn junge Menschen aus so vielen Ländern ohne Probe so einen Auftritt zustande bringen, kann die Welt nur noch besser werden.“
Grimmaer Jugendblasorchester gibt Galakonzert zum 50.
Das Publikum nahm’s mit Respekt und Humor. „Die haben die Situation souverän gemeistert“, lobte der Burkartshainer Jürgen Lorbeer, dessen Frau Angelika sich als Fan des Jugendblasorchesters (JBO) Grimma outete. Und selbstredend fanden beide den Steigermarsch am besten.
„Wunderschön, einfach genial, super“, schwärmte Marion von Thun über die Leistung und Spontanität der Musikanten. „Ich fand’s klasse“, unterstrich die Grimmaerin, deren Schwiegersohn und beide Enkeltöchter im Jugendblasorchester spielen.
Das beliebte Grimmer Ensemble feiert in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag und begeisterte zum Auftakt-Abend der Nationen mit einem ausgefeilten Galakonzert im proppenvollen Festzelt auf dem Volkshausplatz. Als erfahrener Gastgeber des Musikantentreffens konnte das JBO dieses Mal 18 Formationen begrüßen.
Dabei hatte das brasilianische Orquestra de Teutônia die weiteste Anreise zu stemmen. Fast 11 000 Kilometer liegen zwischen seinem Heimatort und Grimma. Und es ist kein Wunder, dass die 23 feurigen Musikerinnen und Musiker am Sonnabend in der Offenen Klasse Ausland zum unangefochtenen Publikumsliebling avancierten. Bei der „Mit Musik um die Welt“ titulierten Show der Big Band hält es kaum jemanden auf den Sitzen.
11 000 Kilometer bis Grimma: „Musik verbindet“
„Wir spielen populäre Musik“, verriet Astor Dalferth, der bereits seit 1989 an der Spitze des sechs Jahre zuvor gegründeten Ensembles steht und Berufsmusiker ist. Warum die Truppe den weiten Weg nach Grimma auf sich genommen hat? „Musik verbindet“, betonte der 57-Jährige. „Darum sind wir hier.“
Außerdem biete so ein Festival Inspiration, erzählte Dalferth in sehr gutem Deutsch. Deutsche Auswanderer hatte ab 1824 seine Heimatstadt Teutônia gründet. Die Sprache der Vorfahren wird von Generation zu Generation getragen.
Brasilianer kommen nicht zum ersten Mal an die Mulde
Schon 1997 und 2000 waren die Teutonen zu Gast in Grimma gewesen. „Wir sind hier gern und fühlen uns wie zu Hause“, erzählte der Band-Chef. Ein ganzes Jahr dauerte die Reisevorbereitung. Von der finanziellen Unterstützung des Bundesstaates Rio Grande do Sul konnten die Musikanten wenigstens den kostspieligen Flug bezahlen.
Allerdings gingen gleich fünf Koffer verloren. Zum Glück kein Instrument. „Wir mussten uns aber untereinander bei der Kleidung helfen und zwei Paar Schuhe ausleihen“, schmunzelte Dalferth.
Grimmas OB lobt den „James Last von der Mulde“
Rainer Rahmlow, seit wenigen Tagen 63, dürfte zum letzten Mal die Strippen fürs Musikantentreffen gezogen haben. Der „James Last von der Mulde“ gehe bald in Rente, verriet Grimmas Oberbürgermeister Matthias Berger (parteilos) dem versammelten Publikum. „Er wird uns fehlen.“
Noch aber ist es nicht so weit. Rahmlow zeigte sich von seiner sportlichen Seite, als er die Bühne enterte und das klanggewaltige JBO mit einem Udo-Jürgens-Medley ein kurzweiliges Galakonzert begann. Mit Gästen an der Seite.
Feuerwehrleute aus Großbardau stimmten den 1952 von Kurt Schlichter kreierten „Marsch der Großbardauer Feuerwehr“ an. Tänzer des Sermuther Rock-’n’-Roll Clubs Caddy wirbelten zu einem Glenn-Miller-Medley durch die Luft. Und der Bad Lausicker Gospelchor „Black ’n’ Orange“ sang mit dem JBO „I will follow him“.
Das erst im vorigen Jahr gegründete Omladinski Duvaki Orkestar aus Serbin und Banda Bron aus Grimmas französischer Partnerstadt komplettierten den Abend der Nationen.
Glückwünsche von Musikverbänden
Tausende Musikfreunde waren von Freitag bis Sonntag in Grimma auf den Beinen. „Wir freuen uns, dass unsere Mitglieder solche Treffen auf die Beine stellen“, lobte Mario Bielig, Präsident des Landes-Musik- und Spielleutesportverbandes. Das Jugendblasorchester Grimma habe eine „herausragende Position“ im Verband und auch mit seiner Musikschule Ausstrahlungskraft in ganz Sachsen. Glückwünsche zum 50. Jubiläum überbrachte zudem Landesmusikdirektor Robin Kürschner. Im Sächsischen Blasmusikverband sei das JBO eine feste Säule.
Frank Prenzel
Die Lieblinge des Publikums
In sechs Kategorien wurden am Sonnabendabend die Publikumslieblinge des 10. Internationalen Musikantentreffens gekürt. Im Festzelt präsentierten sich dazu 15 Formationen mit einem jeweils 20-minütigem Programm. Allerdings nicht das gastgebende Jugendblasorchester Grimma. „Das wäre unfair, wir würden ja haushoch gewinnen“, fand Chefdirigent Reiner Rahmlow erklärende Worte. Das sind die Gewinner:
– Blasorchester Inland: Bläserphilharmonie Thum.
– Blasorchester Ausland: Jugendblasorchester Solt (Ungarn).
– Schalmeienkapelle: Schalmeienkapelle Großpösna.
– Spielmannszug: Spielmannszug TV „Deutsche Eiche“ Hirschfeld.
– Offene Klasse Inland: Stendaler Stadtmusikanten.
– Offene Klasse Ausland: Orquestra de Teutônia (Brasilien).
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Leipziger Volkszeitung vom 12. September 2022
Bild:
Internationales Musikantentreffen in Grimma: Bei der Großen Musikparade am Sonnabend im Stadion der Freundschaft mit etwa 500 Musikanten können nur die ersten Lieder auf dem Rasen gespielt werden. Bei einem Platzregen flüchten alle auf die überdachte Tribüne, mischen sich unter die Besucher – und bringen das Programm zu Ende.
Foto: Frank Prenzel